"Wir haben das Dasein geübt"

Paul Sägesser und Andrea Drumbl im wunderbaren "Duett" aus Worten und Bildern
bei Scheidegger & Spiess


©Paul Sägesser, "Wir haben das Dasein geübt", Pressebild Scheidegger & Spiess


Eine Schriftstellerin begegnet einem bildenden Künstler, einem Maler. Was wird wohl passieren, wenn die Begegnung eine ist, die tiefere Schichten des jeweils Eigenen berührt, innere Themen zum Schwingen bringt?
Natürlich, die Schriftstellerin wird die Begegnung schreibend und der Maler wird sie malend in künstlerische Tiefen treiben, sie um die Dimension des künstlerischen Ausdrucks bereichern. Das Schreiben und das Malen bekommen ein Echo im jeweils Anderen. Die Vereinzelung im Tun, die Einsamkeit als Voraussetzung gewissermaßen für künstlerisches Schaffen, bleibt einerseits bestehen, andererseits wird sie wohltuend unterminiert: Es gibt einen Adressaten/eine Adressatin auf der anderen Seite, diesmal konkret, benennbar, unmittelbar gespürt. 

Wie zwei spielende (verzauberte) Kinder, die einander einen Ball (hier eher eine schillernde Zauberkugel aus einem dunklen Märchen) zuwerfen, nach dem Fangen innehalten, den Wurf des Anderen bestaunen und ein kleines Kunststück mit dem Ball, vielleicht eine Jonglage, vorführen, bevor dieser erneut an das Gegenüber zurückgegeben wird. Und wenn sich der Ball im Wurf verwandelt (siehe Zauberkugel), so wird aus dem Spiel ein nahezu heiliger Ernst. Es zeigt sich die Alchemie der Kunst. Ein Drittes taucht auf!

Bei Paul Sägesser sind das oft hingekritzelte Sätze - Versatzstücke des Gedichts aufnehmend - die zu seinem Bild einen Akzent setzen, eine Deutung hinzu geben.
Und Andrea Drumbl nimmt das skizzenhaft Gemalte atmend, ahnend auf und wirft ihre Worte hinein. Es entsteht: ein Buch.

Der renommierte Kunst-Verlag Scheidegger & Spiess hat, zu unserer großen Freude, 
"den poetischen Dialog" zwischen Andrea Drumbl und Paul Sägesser in einem der wahrscheinlich schönsten (und tiefgründigsten) Bücher in 2025 gesammelt und herausgebracht.
Wir haben das Dasein geübt, so der Titel, der auf die Essenz des Austauschs - der Begegnung - verweist. Andrea Drumbl, preisgekrönte Österreichische Autorin, ausgezeichnet sowohl für ihre Lyrik als auch ihre Romane, stellt dem Schweizer Maler Paul Sägesser jeweils ein Gedicht zur Verfügung, einen schwebenden oder auch geheimnisvollen Text, und er antwortet darauf mit einem, mal wie beiläufig hin getuscht wirkenden, mal ins Groteske zielenden, dann wieder erstaunlich konkret anmutenden oder durch Details in neue, unerwartete Interpretationen führenden Bild.

Andrea Drumbls und Paul Sägessers bisheriges Schaffen verbindet ein Faible zu abgründigen Themen, Spielfreude im Ausdruck, Metaphorik, Poesie und Verdichtung von Innenwelten. Gleichermaßen haben sie auch in der Vergangenheit ihre Affinität zur Kunstform des Anderen bewiesen, Drumbl schrieb bereits über Kunst und Künstler (z.B. für ORF.at über Heimo Zobernig). Paul Sägesser begann seine künstlerische Laufbahn mit Buchillustrationen, Holzdruck und Bleisatz (z.B. Die Königin des Emmentals, Scham vor dem Bettler, Der Schlitten) und liebt es, WORTE aus dicken schwarzen oder roten Lettern in magisch anmutende Bild-Welten einzubinden. Eine intensive Auseinandersetzung mit Kafka oder auch mit Ingeborg Bachmann ist in seinem Werk spürbar.

Wunderbar verbindend, ergänzend dazu,  zeigt sich im vorliegenden Band eine scheinbare Widersprüchlichkeit in der Schlichtheit der Form (Verspieltheit) und der Rätselhaftigkeit mancher Metaphorik. Tiefe verbindet sich mit dem Spiel.
Oder auch: Vordergründig wird gespielt - dahinter versteckt sich der tiefe Ernst (Leben und Transzendenz). 
Die Bilder, die durch Drumbls Worte entstehen, sind weit gespannt von Zartheit zu Schärfe zu Grausamkeit manches Mal und die Erwiderung mit Farben, Formen und Pinsel nehmen diese Töne auf, verwandeln sie in eigenes Material.

Da fragt die Autorin in einem scheinbar schwerelos dahin ziehenden Text, so wie Gedanken aus dem Nichts aufsteigen und wieder verschwinden: 
Wann habe ich begonnen,
mein Leben zu übermalen?

Und der Maler  greift zum Topf schwarzer (!) Farbe, übermalt den Text des Gedichts, das "Tat-Werkzeug" (Pinsel) preisgebend.

Oder:

 Sonnen,
 in Gläsern gefangen,
 gehen ebenfalls unter

Hier entsteht im Echoraum des Künstlers eine blutrote Interpretation,  ein im Einmachglas gefangenes Herz könnte das sein ...

Hinzu kommen, oft wie aus einem Nebel geborene, Kontur suchende Gesichter oder in Pastell an Kinderpuppen erinnernde Gestalten.
Dazu erwidernd die Worte:

Tage wie früher. 

Das Haar meiner Puppen
im Ansatz ergraut.
 

Lyrik, dieses aus Sprache geformte Schweben, das hinter den Worten in die Stille führt. Oder auch: Die Worte, die der Stille etwas abringen konnten.
Andrea Drumbls Lyrik ist schlicht, ergreifend und tief. Aber sie ist auch erschütternd, schockierend und finster. Rau und gnadenlos. Dazwischen voll Zartheit und Licht. Vielschichtig wie die Kunst Paul Sägessers, der seine Arbeiten hier erstmalig seit über einem Jahrzehnt wieder ins Licht der Öffentlichkeit stellt. Die Schriftstellerin und der Maler "haben das Dasein geübt", ihren Ausdruck dafür gefunden.

"Der Mond ist ein Tier" - "Fische küssen" - "Undine schreit nicht". Diese drei Überschriften unterteilen das Buch, stellen Metaphern voran. Für Alles und Nichts, aus dem es zu schöpfen gilt. Das Scheitern sitzt dabei im Genick:
... zwischen Satz und Licht ist der Gegensatz
der innerste Antrieb, um nicht zu scheitern,
denn das Scheitern ist nicht nur ein Scheitern,
sondern ein Sprechen ohne Sprache,
ein Schweigen,
ein Leiden,
ein Tiefschlaf und der Schrei in einem Gedicht.
Das entstandene Echo, dieses "Duett" zweier Künstler, in der beide ihre eigene "Sprache" verwenden, ihre eigenen Töne zum anderen Ton hinzu geben, ist im wahrsten Sinn des Wortes berauschend. Und es ist Zeugnis einer Begegnung, die in die Tiefe und in die Höhe zieht, dorthin, wo echte Begegnung möglich ist.
Ein "Lebensbuch" könnte das den Lesern - den Betrachtern - werden. Eigene, hinzu kommende Assoziationen, Erinnerungen oder Meditationen umkreisen dann die Worte, die Bilder, die nun auch zur Inspiration eines größeren Publikums geworden sind.
Wie heißt es bei Andrea Drumbl dazu:
Im Spiegel umarmen sich ...

(© für die Zitate: Andrea Drumbl) 

©Paul Sägesser, "Wir haben das Dasein geübt", Pressebild Scheidegger & Spiess


Wir haben das Dasein geübt
Begegnungen
Von AndreaDrumbl und PaulSägesser
Scheidegger&Spiess
ISBN978-3-03942-256-2|Deutsch
SFR39,00 / EUR38,0


(Dem Verlag herzlichen Dank für das überlassene Rezensionsexemplar!)

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